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Bedingtes Grundeinkommen statt Bedingungsloses Grundeinkommen!

Beitrag / Leserbrief von Prof. Dr. Torsten Kirstges zum Bericht von Jens-Eberhard Jahn – „Jedes Joch zerbrecht ihr!“ in der Bistumszeitschrift „Christen Heute“, März 2015:

 

 

Wir brauchen ein „bedingtes Grundeinkommen“!

 

Prolog:

Es ist gut und wichtig, dass unsere Kirche sich mit solchen aktuellen Sozialfragen beschäftigt, darüber – z.B. in Christen Heute – diskutiert und letztlich auch nach außen eine Meinung vertritt. Schließlich sollte die Deutungshoheit für gesellschaftliche Entwicklungen nicht den "Verschwörungstheoretikern" und politisch extremen Spinnern überlassen werden, sondern auch durch christliche Aspekte geprägt sein. Sehen Sie nachfolgenden Beitrag daher bitte nicht als Kritik am Aufsatz von Jens-Eberhard Jahn, sondern als Diskussionsbeitrag zu dieser Thematik.

 

Zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE):

Wir leben nicht im Paradies oder im Schlaraffenland. Fast alle Güter, die wir benötigen oder zu benötigen glauben bzw. haben wollen, sind knapp. Daher müssen wir arbeiten, d.h. sinnvollerweise nach dem sog. Ökonomischen Prinzip wirtschaften, um diese Knappheit in möglichst effizienter Weise zu überwinden. Selbst, wo es in unserer Wirtschaft vermeintlichen Überfluss gibt, entsteht dies nur dadurch, dass Menschen arbeiten, weil andere Menschen diese Güter nachfragen.

 

Arbeit ist daher – anders als Jahn schreibt –nicht „Teil eines Problems“, sondern schlichtweg notwendig, um zu überleben. Das Ziel einer „materiellen Absicherung ohne Arbeitszwang“ (Zitat Jahn) mag daher zwar paradiesisch klingen, doch steht ihm die Realität der Güterknappheit entgegen. Manche müssen zur Überwindung dieser Knappheit körperlich oder geistig sehr hart schuften, bei anderen beschränkt sich die Arbeit auf spielerische Tätigkeiten (z.B. Profi-Fußballspieler oder -Sänger) oder auf die Sorgen bei der Verwaltung eines (erarbeiteten, geerbten oder gewonnenen) großen Vermögens. Diese ungleichen Voraussetzungen zur individuellen Überwindung der Knappheit führen – ebenso wie ein leider immer wieder feststellbares Marktversagen (das der röm.-kath. Papst zu Recht, aber keinesfalls als erster anprangerte)  – zu Ungerechtigkeiten, Machtkonzentration, Ausbeutung Schwächerer etc. Die staatliche Ordnungspolitik und auch die Prozesspolitik (inkl. Sozialpolitik) versuchen, solche Probleme zu minimieren, um mehr „Gerechtigkeit“ – wie immer diese definiert werden mag – zu erreichen. Die soziale Marktwirtschaft hat sich dabei über die letzten Jahrhunderte – trotz aller nach wie vor bestehenden Probleme – als das beste Wirtschaftssystem bewiesen; alle anderen Wirtschaftssysteme haben schlechtere Ergebnisse und mehr Ungerechtigkeit ergeben.

 

Angesichts dieser Rahmenbedingungen gilt für unser Leben der Grundsatz: Ohne Arbeit kann der Mensch nicht überleben. Wer nicht selbst für sein Überleben wirtschaftet und dennoch überleben (und gut leben) möchte, der kann dies nur dank der Unterstützung durch andere, die quasi für ihn mitarbeiten, die ihm von den Früchten ihrer Arbeit einen Teil abgeben. Nun gibt es freilich Menschen, die tatsächlich nicht zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts arbeiten können, insbesondere aus gesundheitlichen Gründen. Alleine für diese kann/darf es eine „bedingungslose Existenzsicherung vor jeder Leistung“ geben. Hingegen hat jeder, der für sich oder – falls sein wirtschaftliches Überleben von der Gemeinschaft ermöglicht wird  - für die Gemeinschaft arbeiten kann, die Pflicht dies zu tun, sofern er die Güterknappheit überwinden will und angemessen (wie auch immer definiert und gemessen) leben will.

 

Konkret heißt das: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) kann zwar „individuell ausbezahlt“ werden, „ohne Bedürftigkeitsprüfung durch eine Sozialbürokratie“, dies „in Existenz sichernder Höhe“. Aber die von Jahn als drittes genannte Forderung „ohne Arbeitszwang“ ist meines Erachtens nicht akzeptabel, soweit nicht die angesprochenen Ausnahmen (insbesondere Krankheit  – über diese Ausnahmegründe wäre ein gesellschaftlicher Konsens herbei zu führen – gilt das z.B. auch für Kindererziehung?) gelten. Es sollte vielmehr ein „Grundeinkommen (GE) mit Bedingungen“ sein. Wer seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit verdienen kann, der ist gehalten, dies zu tun. Wer dies nicht möchte (z.B. weil er andere Ziele im Leben hat oder die verfügbaren Arbeitsangebote ihm nicht gefallen), der kann vom GE leben, muss aber der Gemeinschaft, die ihm dies durch ihre Arbeit ermöglicht, im Rahmen seiner Möglichkeiten ebenso Gutes tun (um diese Arbeitsfähigkeit im Rahmen des Bezugs eines GE zu überprüfen und zu beurteilen bedarf es allerdings einer „Sozialbürokratie“). Wer auch dies nicht möchte, darf nicht erwarten, ohne Gegenleistung an die Gemeinschaft/Gesellschaft von dieser alimentiert zu werden.

 

Dieser Dienst an der Gemeinschaft, dieser Dienst am Nächsten, ist nämlich nicht nur die einseitige Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen, sondern ebenso die Verpflichtung dieses Einzelnen gegenüber den anderen Mitmenschen der Gesellschaft. Die von der Soziallehre zu Recht geforderte Solidarität muss auch in diese Richtung gelten; neben Bürgerrecht gibt es auch eine Bürgerpflicht. John Fitzgerald Kennedy lässt grüßen, wenn wir uns an die bekannten Worte seiner Antrittsrede als US-Präsident von 1961 erinnern: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Dabei kann der Dienst am Nächsten, an der Gemeinschaft, darin bestehen, für die staatlichen Gebietskörperschaften tätig zu werden (z.B. dürfte bis auf die o.g. Ausnahmen jeder in der Lage sein, öffentliche Parkanlagen zu reinigen, Schülerlotse zu sein, Bedürftigen im Alltag zu helfen o.ä.), oder auch sich bei einer dafür anerkannten Institution wie z.B. einer Kirchengemeinde oder einem gemeinnützigen Verein zu engagieren, die dann dieses Engagement – als Gegenleistung für das GE – bescheinigt.

 

Ähnlich funktioniert das System heute bereits bei der sog. Ehrenamtskarte, mit der viele Gemeinden nach Bestätigung durch einen kirchlichen oder sozialen Träger, dass ein Bürger sich ehrenamtlich engagiert, diesem kleine Vorteile (z.B. kostenloser Museumseintritt oder vergünstigte Busfahrten) ermöglichen. Um den im Beitrag von Jahn genannten Satz von 1.000 EUR monatliches GE aufzugreifen: Bei einem Mindestlohn von 8,50 EUR in Deutschland müsste der GE-Bezieher maximal 30 Wochenarbeitsstunden für die Gemeinschaft, die ihm dieses GE ermöglicht, leisten. Dies ist zumutbar und lässt noch ausreichend Freiraum, um zusätzlich weitere Lebensziele (als das Sichern des materiellen Überlebens) zu verfolgen.  Den nunmehr sicherlich aufkommenden Bedenken, dass die für die Gemeinschaft arbeitenden GE-Bezieher dann ja anderen die Arbeitsplätze wegnähmen, kann dadurch begegnet werden, dass deren Leistung eben zusätzlich (z.B. im Rahmen des Sozialengagements) einfließt. Man muss nur an verschmutzte Parkanlagen, unkrautüberwucherte Gehwege oder verwaiste Besuchsdienste der Kirchengemeinden – oder eben an das System der Ehrenamtskarte - denken, um zu erkennen, dass es viele Bereiche gibt, in denen Arbeit an der Gemeinschaft, am Menschen, am Nächsten, keinen Arbeitsplatz kosten wird.

 

Fazit:

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ohne eigene Arbeit, finanziert durch andere Menschen, die dafür arbeiten, ist aufgrund der Güterknappheit nicht realisierbar, nicht gerecht und widerspricht christlichen Geboten (insbesondere der Solidarität), es sei denn spezielle Gründe (wie Krankheit) hindern den Bezieher eines Grundeinkommens daran, sich für seine ihn unterstützenden Mitmenschen zu engagieren.

 

ps: Mit Jesaia 58,6 lässt sich ein BGE meines Erachtens nicht begründen; da ließe sich schon eher Matthäus 25,8-9 als Aufruf zur wirtschaftlichen Selbstverantwortung missbrauchen: „Die Törichten aber sprachen zu den Klugen: Gebt uns von eurem Öl! Denn unsere Lampen erlöschen. Die Klugen aber antworteten und sagten: Nein, damit es nicht etwa für uns und euch nicht ausreiche! Geht lieber hin zu den Verkäufern und kauft für euch selbst!“ Gemeint ist freilich in beiden Fällen etwas anderes …

 

Prof. Dr. Torsten Kirstges

Mitglied der Alt-Katholischen Gemeinde Wilhelmshaven

 

15.3.2015

 

 

 

Nachtrag vom November 2023:

 

Mehr als acht Jahre, nachdem Prof. Dr. Torsten Kirstges vorgenannten Beitrag verfasst hatte, forderte die CDU im November 2023 angesichts der ausufernden Kosten für die Sozialleistungen in Deutschland einen Systemwechsel beim sog. Bürgergeld, das zum 1.1. 2023 das frühere Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) ablöste. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann argumentierte gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun - er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt." Denn der Sozialstaat müsse "für die wirklich Bedürftigen da sein, die nicht arbeiten können". Es gebe also in Deutschland aus guten Gründen keinen Arbeitszwang. Aber es brauche "mehr Anreize für die Jobaufnahme". Künftig „sollte gelten, dass jeder, der arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, spätestens nach einem halben Jahr einen Job annehmen oder gemeinnützig arbeiten muss". Dies sei man "all denen schuldig, die jeden Tag arbeiten gehen und damit die Sozialleistungen des Staates für andere erst möglich machen".

 

 

Nachtrag vom Februar 2024:

 

Ende Februar 2024 sprach sich der Deutsche Landkreistag dafür aus, dass eine "finanzielle Unterstützung vom Staat ... nicht bedingungslos sein" darf. Der Verbandspräsident Reinhard Sager bezog sich dabei zwar auf eine seiner Meinung einzuführende Arbeitspflicht für Asylbewerber, doch sollte dieser Gedanke m.E. auch auf andere Empfänger staatlicher Sozialleistungen übertragen werden. Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen hatte als erster Landkreis in Deutschland eine solche Arbeitspflicht für Asylbewerber beschlossen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann äußerte sich zustimmend zu Wort und begrüßte gemäß dem "Prinzip des Förderns und Forderns" eine solche Arbeitspflicht für Flüchtlinge ohne Einschränkungen.

 

 

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