Was sagt unsere alt-katholische Kirche eigentlich zum Krieg in der Ukraine? Und zu den Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine? Dürfen oder sollen wir Waffen liefern, damit die Ukraine ihr Recht (?) auf Selbstverteidigung besser ausüben kann? Welche Art von Waffen? Muss die Ukraine nicht auch (territoriale) Opfer bringen, damit ein (gerechter?) Frieden möglich wird?
Nun, zunächst ist hinsichtlich der Eingangsfrage festzustellen: Nicht viel! Zu diesem konkreten, durch Politik verursachten, aber ethisch-moralisch sehr schwierigen, ja „spannenden“ Thema findet man von unserer Kirche nahezu keine Aussagen. Umso erfreulicher ist es, dass unser Bischof Dr. Matthias Ring im Dezemberheft unserer Kirchenzeitung „Christen heute“ zu vorgenannten Fragen einige sehr interessante Denkanstöße liefert. Zurecht stellt Bischof Ring fest, dass bei vielen Christen eine gewisse Hilflosigkeit hinsichtlich der Beurteilung von Krieg - von vielen als ungerecht im Angriff, aber gerecht in der Selbstverteidigung empfunden - herrscht. Gerade im Rückblick auf die Synode 2018, die sich diesem Thema widmete, wird die Schwierigkeit einer ethisch-moralischen Beurteilung der Anwendung von (militärischer) Gewalt deutlich. Ist Gewalt zur Erhaltung von (Menschen-)Rechten gerechtfertigt? Oder verlangt unser christlicher Standpunkt einen radikalen Pazifismus, einen Gewaltverzicht auch in der Verteidigung?
Ring stellt fest, dass ein radikaler Pazifismus - leider, das zeigt die Geschichte - seine Grenzen hat, also wirkungslos gegen einen Aggressor sein und das Leid vergrößern kann. „Die christliche Tradition hat in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Unterscheidung vorgenommen. Der Einzelne kann sich für radikalen Gewaltverzicht aussprechen und auch die damit verbundenen Nachteile, bis hin zum (eigenen) Tod, in Kauf nehmen. Aber wenn er in der Verantwortung für andere steht, dann muss er diese schützen, notfalls mit Gewalt. Wenn ich abends unterwegs bin und überfallen werde, kann ich mich dafür entscheiden, mich zusammenschlagen zu lassen. Aber wenn ich sehe, dass ein anderer zusammengeschlagen wird, entsteht ein ethisches Dilemma““ (Zitat Ring in Christen heute). Das „Ideal der Gewaltlosigkeit, die Jesus vorgelebt hat“ (Zitat), müsse mit der Wirklichkeit von Politik und Gesellschaft zusammengebracht werden. Rings Beispiel erinnert mich an die typischen Fangfragen, die in den 1970er-Jahren Kriegsdienstverweigern (so auch mir selbst) gestellt wurden: Was tun, wenn man pazifistisch den Dienst an der Waffe verweigern und niemanden töten will, durch das Töten eines einzelnen Menschen (Terroristen) aber hunderte von Menschenleben retten könnte? Ein ethisches Dilemma im Spannungsfeld zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Es gab buchdicke Vorbereitungs- und Empfehlungshandbücher, wie man beim „Tribunal“ als angehender Kriegsdienstverweigerer auf solche Fragen antworten sollte …
Offensichtlich hat unser Bischof erkannt, dass es den Bedeutungsverlust von Kirche nur noch beschleunigt, wenn sie zu solchen elementar-ethischen Fragen des realen Lebens keine Dankanstöße aus christlicher Position heraus liefert. Man darf keine eindeutige Position der Kirche(n) erwarten - dafür sind Sachlage und ethische Überlegungen zu solchen Fragen viel zu komplex. Aber genau die Art, wie Ring in diesem kleinen versteckten Beitrag (in einem Heft zum Thema „Musik … Klänge“ im Kontext von „Synode“) die eingangs genannte Problematik thematisiert, ist richtig und wichtig. Weiter so! Mehr davon, denn solche aus dem alt-katholischen, christlichen Gedankengut heraus entwickelten Überlegungen, auch wenn sie zunächst die eigene Ratlosigkeit zeigen, sind um ein Vielfaches wichtiger als diese allzu oft in der „Christen heute“ nichtsagend breitgetretenen Bla-Bla-Themen religiöser Selbstergötzung …
Prof. Dr. Torsten Kirstges
12.12.2022