Frohe Weihnachten! Frohe? Weihnachten war ja zugleich der Beginn einer Geschichte voll Leiden und Gewalt! Hatte nicht Herodes schon kurz nach Jesu Geburt alle Neugeborenen töten lassen, weil er einen konkurrierenden König fürchtete? O.k., diese Geschichte ist historisch nicht belegt und vermutlich frei erfunden, um an die Moses-Erzählung anzuknüpfen. Auch die Stallgeburt und die reichhaltigen Geschenke der drei Weisen bzw. Könige sind hinzugedichtet (hätten die Eltern Jesu tatsächlich Gold, Weihrauch und Myrrhe von Königen erhalten, hätten sie wohl für ihr Lebtag ausgesorgt). In dieser fiktiven Weihnachtsgeschichte entkommt das neu geborene Jesuskind, um dann aber real ca. 30 Jahre später als Erwachsener doch Opfer der Gewalt zu werden.
Die Weihnachtsgeschichte ist also in großen Teilen Fiktion. Gleichwohl gab und gibt es Gräueltaten wie die von den Kindsmorden und dem (Kreuzigungs-)Tod überall und zu jeder Zeit. In Bosnien, in Ruanda, im Kongo, in Syrien, bei Terroranschlägen, im Nationalsozialismus vor einigen Jahrzehnten auch tausendfacher Kindsmord in Deutschland. In diesen realen wie in der fiktiven Mordgeschichte der biblichen Weihnachtszeit geht es immer um die Angst der Mächtigen, dass Andere, zunächst noch Kleine, groß werden könnten. Wenn diese oder jene Person oder Gruppe bedeutend wird, werde ich unbedeutend und verliere etwas. Schon bei Kain und Abel ging es um die Urangst der Machtmenschen, vom Thron gestoßen werden zu können. Abel, Jesus, die unschuldigen Kinder - sie sind der Prototyp der Opfer von Unrecht und Gewalt.
Aber die Weihnachtsgeschichte und alles, war darauf folgt, zeigt uns auch, dass der Kreislauf des Unheils durchbrochen werden kann! Die weihnachtliche Offensive zeigt, dass dank Gottes Intervention die Gewaltspirale beendet werden kann. Das geht nicht gegen oder ohne, sondern nur mit den Menschen. Wenn jeder Einzelne positiv und gutmütig statt angst- und neidvoll auf seinen Nächsten blickt, wenn man sich liebevoll wie um ein kleines Kind auch um den Mitmenschen kümmert, dann können der Einzelne und letztlich die Menschheit überleben. Dann ist Weihnacht!
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
Text von Prof. Dr. Torsten Kirstges vom Dezember 2018
Schätzen Sie doch ‘mal, wie lange Weihnachten eigentlich dauert! Vielleicht würden Sie sagen: „Zwei Tage! Heiligabend und der Tag danach. – Ach nein, da gibt’s ja noch den zweiten Feiertag … aber nicht in allen Ländern. Also vielleicht drei Tage?“
Viel zu kurz gedacht! Es sind ganze 40 Tage – so lang ist Weihnachten! Bei uns Alt-Katholiken, wie in der Alten Kirche, auf die wir uns gerne beziehen, dauert Weihnachten tatsächlich bis zum 2. Februar, bis zum Tag „Darstellung des Herrn“.
„Nun denn“, mag manch einer denken, „ist das nicht ein bisschen lang?“ Es hängt ganz davon ab, würde ich sagen, wann man anfängt, Weihnachten zu feiern. Viele beginnen damit schon am ersten Advent. Und noch viel früher gibt es das Weihnachtsgebäck im Supermarkt, nämlich in der Regel schon ab der 35. Kalenderwoche, also bereits um den 25. August. Leider ist damit der Advent schon zu Weihnachten geworden. Schade, wenn man bedenkt, dass Vorfreude oft die beste Freude ist.
Wenn man so früh beginnt, Weihnachten zu feiern, kann es leicht passieren, dass man gleich nach den Festtagen „genug hat“ und den Weihnachtsbaum schon an Neujahr aus dem Haus schafft. Wer aber etwas abwartet, kann noch bis Anfang Februar durchhalten. Das eigentliche Fest dauert ja sowieso acht Tage – schon deshalb, weil es so wichtig ist: die Menschwerdung Gottes! Dann kommen die „Heiligen Drei Könige“ am 6. Januar; die Theologen sprechen hier vom Fest „Erscheinung des Herrn“. In der Orthodoxie, den Kirchen des Ostens und Südens, ist übrigens dann erst Weihnachten. Wenn die römisch-katholische Kirche Pause macht (denn dort ist dann offiziell das Weihnachtsfest zu Ende), geht es bei uns mit dem Sonntag „Taufe des Herrn“ weiter, worauf der Sonntag „Hochzeit zu Kana“ folgt, und diesmal noch zwei Sonntage nach Epiphanie. Und dann erst der Höhepunkt zum Schluss: „Darstellung des Herrn“.
Alles in allem also 40 Tage! Eine heilige Zahl übrigens. 40 Tage gleich 40 Gelegenheiten, das Festgeheimnis von Weihnachten zu betrachten und zu feiern. Mit Vanillekipferln zum Beispiel. So sahen früher einmal Hostien aus. Oder mit Christstollen, der an das in weiße Windeln gewickelte Kind erinnert. Und mit Geschenken. Auch die Heiligen Drei Könige kamen ja mit Geschenken zum Kind nach Bethlehem.
Außerdem mit gebastelten Sternen. Als Erinnerung an den Stern von Bethlehem, dem die Könige folgten, mit Kerzen, Liedern und und und …
Demnach kann die Zeit nicht lang werden. Wie gesagt, fangen Sie doch einfach später an, dann hat man auch noch „nach“ dem Fest was davon.
Frohe Weihnachten!
Ihr
Pfarrer Meik Barwisch
Text vom Dezember 2014 / Januar 2015
Frohe Weihnachten!
Frohe?
Hat man uns nicht schon vor circa zweitausend Jahren eine Zeitenwende versprochen, eine frohe Zeit, in der dank der Geburt eines Erlösers alles besser wird?
Es gab keine Zeitenwende. Gewalt und Kriege gingen weiter. Es gab und gibt nur Gezeiten, es gab und gibt nur die ewige Ebbe und Flut von Gewalt und Terror. Von ihr werden die Zeiten bestimmt. Die Zeiten heute sind so furchtbar unfriedlich, wie sie es in den Zeiten von Christi Geburt auch schon waren.
Weihnachten ist die Verheißung des großen Friedens: "Et in terra pax hominibus." Die Engel, die den Hirten in der Nacht auf dem Feld bei Bethlehem erscheinen, rufen das aus: "Friede auf Erden!" Man fragt sich, ob die Vision vom Frieden auf Erden nicht ein Selbstbetrug, eine religiöse Illusion ist - eine große, gnädige Weihnachtslüge, mehr Vertröstung als Trost. Wo ist denn der angekündigte Friede, zwei Jahrtausende nach seiner Verheißung? Aber dies ist eine Aufforderung für das Diesseits, nicht erst für das Jenseits und ein besseres Leben dort.
Die Weihnachtsgeschichte ist keine Geschichte im Sinn von Historie, sie verbreitet auch nicht einfach uralte Fake News. Sie ist eine Legende, etwas, das zu lesen ist, was immer und immer wieder vorzulesen ist, um beharrlich Hoffnung zu buchstabieren. Diese Botschaft ist nicht von gestern, sie ist für heute. Heute wie damals soll man aufstehen aus der Hoffnungslosigkeit. Ob die Legende des Evangelisten Lukas, die Weihnachtsfriedensgeschichte also, wirklich wahr wird, ob sie sich bewährt, um dem Hass zu widerstehen - es liegt an jedem Einzelnen von uns.
Warum tritt Gott, wenn er denn existiert, dem Bösen nicht entgegen? Wo ist da die göttliche Güte, Gerechtigkeit, Allmacht? Bei diesen Fragen dreht der Weihnachtsglaube die Welt um: Der Weihnachtsglaube sorgt sich nicht darum, Gottes Göttlichkeit zu retten, sondern die Menschlichkeit der Menschen. Er sucht nicht metaphysische Erklärungen; er strebt nach tatkräftigen Veränderungen. Weihnachten ist das Fest, an dem Gott sich klein und schwach macht, auf dass die Menschen verstehen, dass sie das Überwinden der von ihnen angerichteten Katastrophen nicht einem allmächtigen Gott im Himmel überlassen können; sie sollen nicht darauf vertrauen, dass der "alles so herrlich regieret", wie es im alten Kirchenlied heißt. Das macht er nämlich nicht. Weihnachten verlangt vielmehr von uns Menschen ziemlich viel: orare et laborare - beten und arbeiten an einer besseren Welt. Es stimmt nämlich nicht, dass nichts zu machen ist; es stimmt nicht, dass Widerstand gegen den Unfrieden keinen Sinn hat. Es gibt kein Gesetz, wonach die Unmenschlichkeit exponentiell mit der Weltbevölkerung wächst; es gibt keine Zwangsläufigkeit, wonach Kontinente verhungern; es gibt keinen Automatismus, der dazu führt, dass das Klima sich ins Katastrophische wandelt, dass die Regenwälder verschwinden und ein Völkermord dem anderen folgt. Wir können etwas dagegen tun, viele in kleinen Schritten, manche in großen.
Wir, jeder von uns, nicht irgendwer "da oben". Zum Menschlich- und Mündigwerden des Menschen gehört es, nicht immer neuen Messiassen nachzulaufen, wenn diese Heil und Größe versprechen. Solche Großversprecher sind nicht in Windeln gewickelt; sie sind in Unrecht verwickelt; sie führen nicht, sie verführen; ihr Weg ist nicht der Weg der Achtung, sie gehen den Weg der Verachtung.
Die Ankündigungen des großen Friedens auf Erden an Weihnachten sind keine Prophezeiungen für die Zukunft. Sie sind und bleiben Utopien. Wenn diese uns traurig darüber machen, wie die Welt ist, dann haben sie schon einen guten Teil ihres Anliegens erreicht. Denn nur Menschen, die trauern und etwas vermissen, wollen auch, dass sich etwas ändert und das Ihre dazu tun. Es wird uns nicht gelingen, die Zeitenwende zum ewigen Frieden zu schaffen. Aber es kann uns gelingen, die Gezeiten der Gewalt zu zähmen. In diesem Sinne ist Weihnachtsgeschichte eine Utopie, die zu schön ist, um nicht wahr zu sein.
Frohe Weihnachten!
(Text vom Dezember 2023; dieser Text basiert auf Auszügen aus einer Kolumne in der Süddeutschen Zeitung vom 22.12.2023)
Anlässlich des diesjährigen Weihnachtsfests unter Corona-Maßnahmen-Bedingungen hat unser Gemeindemitglied Carlo Blischke seiner Phantasie freien Lauf gelassen und sich mal ausgemalt, was Jesus wohl denken und sagen würde, wollte er heute im Jahr 2021 seinen Geburtstag unter uns feiern. Die Glosse spart nicht mit deftigen Worten und Anspielungen, mit satirischen und bewusst teilweise polemischen Meinungsäußerungen; sie ist also nicht geeignet für „zarte“ Gemüter, aber in ihrer pointierten Aussage sehr (zu)treffend. Lesen Sie selbst: