Gelegentlich hört man, insbesondere von röm.-kath. Katholiken, den geradezu vorwurfsvollen Gedanken, dass Alt-Katholiken ja der „Beliebigkeit“ frönen, also glauben und handeln
können, was bzw. wie sie es gerade wollen: „Ihr könnt ja glauben, was ihr wollt …“.
Dem ist jedoch nicht so! Wir Alt-Katholiken haben vielmehr eine Glaubensfreiheit in Gebundenheit. Stärker als in manchen anderen Religionen und Kirchen haben wir
eine Gewissensfreiheit innerhalb der Tradition unseres Glaubens. Diese ist ausgerichtet am Evangelium, an Jesus Christus, und ist somit also ebenso wenig „beliebig“
wie es das Evangelium ist. Unsere Gebundenheit ergibt sich insbesondere aus dem Glaubensbekenntnis und aus unseren alt-katholischen Glaubensgrundsätzen. Die sog. Utrechter
Erklärung vom 24. September 1889 ist das Gründungsdokument der Utrechter Union der Alt-Katholischen Kirchen, zu der sich die in ihr verbundenen Kirchen bekennen und
die den „gemeinsamen Nenner“ der Alt-Katholischen Kirchen und Gemeinden dokumentiert (Details siehe nachfolgend). Die Gebundenheit ergibt sich ferner aus den synodalen Beschlüssen
(bei denen unser Bischof in bestimmten Fragen ein Veto-Recht mit aufschiebender Wirkung hat).
Unsere Glaubensfreiheit innerhalb dieser Gebundenheit und unsere synodale Struktur ermöglichen uns eine im Vergleich zu vielen anderen Kirchen größere Flexibilität in der
Glaubens- und Lehrausrichtung und in der Evangeliumsinterpretation. Wir Alt-Katholiken können Veränderungen in menschengerechten Zeiträumen (und nicht erst über Jahrhunderte)
realisieren. Auf den Synoden ringen wir um die besten Lösungen; dies ist anstrengend und keinesfalls von Belieben geprägt, aber offen und ehrlich.
Wortlaut der Utrechter Erklärung von 1889:
Infolge einer Einladung des mitunterzeichneten Erzbischofs von Utrecht zu einer Besprechung versammelt, haben wir beschlossen, fortan von Zeit zu Zeit zur Berathung gemeinsamer Angelegenheiten,
unter Zuziehung unserer Gehülfen, Räthe und Theologen, zusammen zu kommen. Wir halten es für angemessen, bei dieser ersten Zusammenkunft die kirchlichen Grundsätze, nach welchen wir bisher unser
bischöfliches Amt verwaltet haben und auch in Zukunft verwalten werden und welche wir in Einzel-Erklärungen auszusprechen wiederholt Gelegenheit gehabt haben, in einer gemeinsamen Erklärung kurz
zusammenzufassen.
- Wir halten fest an dem altkirchlichen Grundsatze, welchen Vincentius von Lerinum in dem Satze ausgesprochen hat: Id teneamus, quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est; hoc est
etenim vere proprieque catholicum. (Wir halten fest an dem, was immer, überall und von allen geglaubt worden ist, das ist nämlich wahrhaft katholisch; Einschub durch Kirstges). Wir
halten darum fest an dem Glauben der alten Kirche, wie er in den ökumenischen Symbolen und in den allgemein anerkannten dogmatischen Entscheidungen der ökumenischen Synoden der ungetheilten Kirche
des ersten Jahrtausends ausgesprochen ist.
- Als mit dem Glauben der alten Kirche in Widerspruch stehend und die altkirchliche Verfassung zerstörend verwerfen wir die vatikanischen Dekrete vom 18. Juli 1870 über die Unfehlbarkeit und den
Universal-Episkopat oder die kirchliche Allgewalt des römischen Papstes. Das hindert uns aber nicht, den historischen Primat anzuerkennen, wie denselben mehrere ökumenische Concilien und die Väter
der alten Kirche dem Bischof von Rom als dem primus inter pares zugesprochen haben mit Zustimmung der ganzen Kirche des ersten Jahrtausends.
- Wir verwerfen auch als in der heiligen Schrift und der Überlieferung der ersten Jahrhunderte nicht begründet die Erklärung Pius IX. vom Jahre 1854 über die unbefleckte Empfängnis Mariä.
- Was die anderen in den letzten Jahrhunderten von dem römischen Bischof erlassenen dogmatischen Dekrete, die Bullen Unigenitus, Auctorem fidei, den Syllabus von 1864 u.s.w. betrifft, so verwerfen
wir dieselben, soweit sie mit der Lehre der alten Kirche in Widerspruch stehen, und erkennen sie nicht als massgebend an. Überdies erneuern wir alle diejenigen Proteste, welche die alte katholische
Kirche von Holland in früherer Zeit bereits gegen Rom erhoben hat.
- Wir nehmen das Conzil von Trient nicht an in seinen Entscheidungen, welche die Disciplin betreffen, und wir nehmen seine dogmatischen Entscheidungen nur insoweit an, als sie mit der Lehre der
alten Kirche übereinstimmen.
- In Erwägung, dass die heilige Eucharistie in der katholischen Kirche von jeher den wahren Mittelpunkt des Gottesdienstes bildet, halten wir es für unsere Pflicht, auch zu erklären, dass wir den
alten katholischen Glauben von dem heiligen Altarsakramente unversehrt in aller Treue festhalten, indem wir glauben, dass wir den Leib und das Blut unseres Herrn Jesu Christi selbst unter den
Gestalten von Brod und Wein empfangen.
Die eucharistische Feier in der Kirche ist nicht eine fortwährende Wiederholung oder Erneuerung des Sühnopfers, welches Christus ein für allemal am Kreuze dargebracht hat; aber ihr Opfercharakter
besteht darin, dass sie das bleibende Gedächtniss desselben ist und eine auf Erden stattfindende reale Vergegenwärtigung jener Einen Darbringung Christi für das Heil der erlösten Menschheit, welche
nach Hebr. IX, 11,12 fortwährend im Himmel von Christus geleistet wird, indem er jetzt in der Gegenwart Gottes für uns erscheint. (Hebr. IX, 24.)
Indem dies der Charakter der Eucharistie bezüglich des Opfers Christi ist, ist sie zugleich ein geheiligtes Opfermahl, in welchem die den Leib und das Blut des Herrn empfangenden Gläubigen
Gemeinschaft miteinander haben. (I. Kor. X, 17.)
- Wir hoffen, dass es den Bemühungen der Theologen gelingen wird, unter Festhaltung an dem Glauben der ungetheilten Kirche, eine Verständigung über die seit den Kirchenspaltungen entstandenen
Differenzen zu erzielen. Wir ermahnen die unserer Leitung unterstellten Geistlichen, in der Predigt und bei dem Unterrichte die wesentlichen christlichen Glaubenswahrheiten, zu welchen sich die
kirchlich getrennten Confessionen gemeinsam bekennen, in erster Linie zu betonen, bei der Besprechung der noch vorhandenen Gegensätze jede Verletzung der Wahrheit und der Liebe sorgfältig zu
vermeiden und die Mitglieder unserer Gemeinden durch Wort und Beispiel anzuleiten, Andersgläubigen gegenüber sich so zu verhalten, wie es dem Geiste Jesu Christi entspricht, der unser aller Erlöser
ist.
- Durch treues Festhalten an der Lehre Jesu Christi, unter Ablehnung aller durch die Schuld der Menschen mit derselben vermischten Irrthümer, aller kirchlichen Missbräuche und hierarchischen
Bestrebungen, glauben wir am erfolgreichsten dem Unglauben und der religiösen Gleichgültigkeit, dem schlimmsten Übel unserer Zeit, entgegenzuwirken.
Siehe dazu auch:
http://www.alt-katholisch.de/utrechter-union/utrechter-erklaerung.html