Wir Alt-Katholiken zeichnen uns aus durch synodale (demokratieähnliche) Verfahren der Entscheidungsfindung, auch in Lehrfragen, unter Einbeziehung der Laien (via Synoden, Gemeindeversammlungen etc.). Dennoch haben wir klare theologische Leitlinien ("im Notwendigen Einheit, in Zweifelsfragen Freiheit, in allem die Liebe").
Synodalität nennen wir unser Ziel, unseren Versuch, gemeinsam einen Weg finden, einvernehmlich Entscheidungen zu treffen, dabei auch Minderheiten „mitzunehmen“. Synodal ist dabei mehr oder „besser“ als demokratisch: Eine knappe Entscheidung, die nicht von einer großen Mehrheit getragen wird, ist demokratisch, nicht aber synodal.
Aber: Synodalität erlaubt/erfordert auch Meinungsstreit. Und: Auch (kleine) Minderheiten müssen bereit sein, die Beschlüsse der synodalen Mehrheit (Synode, Gemeindeversammlung/KV) zu akzeptieren, die eigene (Minder-)Meinung nicht zum höchsten Gesetz zu erheben und endlos zu „bohren“ und damit z.B. die Gemeinschaft einer Gemeinde zu belasten.
Konkret:
Wenn in einer Gemeinde, einer Gemeindeversammlung oder einem Kirchenvorstand eine Entscheidung mit 60% zu 40% gefällt wird, dann ist das zwar demokratisch-mehrheitlich, entspricht aber u.U. nicht dem Anspruch der Synodalität. Dann sollte man diese Entscheidung besser nochmals überdenken, ggf. vertagen.
Wenn aber in einer Gemeinde, einer Gemeindeversammlung oder einem Kirchenvorstand nach Anhörung der verschiedenen Meinungen eine Entscheidung mit 90% zu 10% oder mit 95% zu 5% gefällt wird, d.h. wenn es nur einige wenige Gemeindemitglieder (oder Gäste der Gemeinde) gibt, die sich nicht der mehrheitlichen Meinung anschließen können, dann darf die synodale Mehrheit erwarten, dass diese Minderheit das Mehrheitsvotum akzeptiert und nicht immer wieder mit Bedenken, Einwänden, Kritikäußerung oder gar „übler Nachrede“ (z.B. mit Begriffen wie „wir werden ja nicht gehört“ oder „wir werden ja gemobbt“ etc.) das Gemeindeleben belastet.
Ausführlich und interessant dazu der nachfolgende Text.
Prof. Dr. Torsten Kirstges
Textauszüge:
Synodalität und/oder Demokratie
… was denn Synodalität und Demokratie voneinander unterscheidet, denn immer wieder bemerke ich, dass einige größten Wert darauf legen, beides sei nicht dasselbe. Dabei kann man es in diesem Zusammenhang getrost unberücksichtigt lassen, dass sich unsere Kirchenverfassung als bischöflich-synodal versteht, denn gegen die Bezeichnung „bischöflich-demokratisch“ käme genauso Widerspruch. Nun … wird da und dort, zum Beispiel in Internetforen, wieder darüber debattiert, ob „synodal“ gleich „demokratisch“ sei – und wenn nein, warum nicht.
In einem Forum las ich zum Beispiel: „Der wesentliche Unterschied zwischen Demokratie und Synodalität ist die Geisteshaltung: bei Demokratie gibt es Wahlkämpfe, Parteien, Lager, Macht- und Geltungssucht. Die Synodalität steht für Gemeinschaft, Einvernehmen, die Suche nach einem Kompromiss, mit dem alle leben können, eigene Ansichten nicht zum höchsten Gesetz machen, auch mit der zweitbesten Lösung leben können, Versöhnlichkeit wahren.“
So ähnlich habe ich es schon oft bei Diskussionen gehört, aber ich frage mich stets, ob dabei nicht das Ideal von Synodalität mit der Realität der parlamentarischen Demokratie verglichen wird – und dabei kommt die Demokratie immer schlecht weg. Im Übrigen gibt es auch in synodal verfassten Kirche klar erkennbare Parteiungen; das ist oftmals nur eine Frage der Kirchengröße.
Weggemeinschaft?
Auch klingt in solchen Argumenten die Definition von Synodalität als „Weggemeinschaft“ an. Aber was bedeutet dies konkret, wenn sich eine Kirche als Weggemeinschaft versteht? Über die Strukturierung dieser Kirche ist meines Erachtens damit gar nichts gesagt. Darf ich mir darunter eine fröhliche Wandergruppe vorstellen, die sich vorher auf ein Ziel verständigt hat? Oder eher eine Bergwanderung mit einem Bergführer, der im Zweifelsfall sagt, wo es lang geht? Oder eine Armee – auch da sind Menschen gemeinsam auf dem Weg –, die eine klare Kommandostruktur hat? Wie findet die Weggemeinschaft zu Entscheidungen, wer geht voran, wer entscheidet im Zweifelsfall …? – Das Wort von der synodalen Kirche als Weggemeinschaft eignet sich wunderbar für meditative Betrachtungen, aber um das Wesen einer Kirche zu erfassen, ist es denkbar ungeeignet.
Oft habe ich als Argument gehört, in einer synodalen Kirche könne man nicht über alles abstimmen. Allerdings kann man dies in vielen Demokratien auch nicht. Zumindest die modernen Demokratien westlichen Typus kennen einen Verfassungskern, der nicht verhandelbar ist. Oberste Gerichte haben darüber zu wachen, dass er unangetastet bleibt.
Einmütigkeit
Viele sehen in der Synodalität – anders als bei der Demokratie – den Trend zur Einmütigkeit. Jemand aus unserer Kirche schrieb vor einiger Zeit hierzu: „Demokratie heißt: 51 Stimmen dafür, 50 Stimmen dagegen, also wird die Sache gemacht. Synodalität gibt sich erst dann zufrieden, wenn alle sich für eine Sache entscheiden, sie will überzeugen, ist herrschaftsfrei. Sie fasst auch die Minderheit ins Auge. Eine knappe Entscheidung, die nicht von einem Gros getragen wird, ist demokratisch, nicht aber synodal.“
Auch hier ist die Sache meiner Meinung nach differenzierter zu sehen, denn selbst in den Demokratien gibt es Fragen, für die es mehr als 50 Prozent der Stimmen braucht. Und viele Gesetze werden in unserer Republik parteiübergreifend verabschiedet. Andererseits werden viele Fragen in kirchlichen Gremien mit einfacher Mehrheit entschieden. Gewiss, wir kennen einen Minderheitenschutz, aber damit lässt sich eine Entscheidung nur aufschieben. Und blickt man auf die Kirchengeschichte, muss man beschämt feststellen, dass mit den unterlegenen Minderheiten nicht gerade pfleglich umgegangen wurde. So wurden zum Beispiel die beiden Bischöfe, die sich den Beschlüssen des Konzils von Nizää 325 verweigerten, kurzerhand vom Kaiser verbannt. Sicherlich, das hat der Kaiser gemacht, aber die anderen Bischöfe haben nicht versucht, ihn davon abzuhalten, im Gegenteil.
Die hier skizzierte Debatte beantwortet natürlich nicht die Frage, was denn das Wesen einer synodalen Kirche ist … und ob nun „demokratisch“ gleich „synodal“ sei. Sie scheint mir aber symptomatisch in zweierlei Hinsicht zu sein. Zum einen zeigt sie, wie viele ein Problem damit haben, den Meinungsstreit, von dem Demokratie lebt, als etwas Positives zu erleben. Das Wort vom Parteiengezänk wird in Deutschland schnell in den Mund genommen, ohne zu bedenken, dass es ohne diesen Meinungsstreit keine Demokratie geben kann.
Der Mensch
Zum anderen sagt diese Debatte viel aus über die Sehnsucht, die mit dem Wort von der synodalen Kirche verbunden ist: eine Kirche, in der alle aufeinander Rücksicht nehmen, keiner untergebuttert und immer nach gemeinsamen Lösungen gesucht wird. Zweifelsohne: das wäre das Ideal. Dummerweise ist der Mensch wie er ist: nicht immer edel, nicht immer großzügig, nicht immer altruistisch, nicht immer bereit, die eigene Meinung hinten anzustellen. Und deshalb braucht eine synodale Kirche Regeln, die diese Seite des Menschseins mit einkalkulieren – so, wie es in der Demokratie auch der Fall ist.
Matthias Ring
Textauszüge; Quelle des kompletten Textes: http://www.alt-katholisch.de/fileadmin/red_ak/CH-Archiv/arc_09/09-9-6.htm
Vom 2.10. bis 5.10.14 fand in Mainz die 59. Ordentliche Bistumssynode statt. Die bischöflich-synodale Grundstruktur unserer Kirche und die damit verbundene „Demokratie in der Kirche“ (wenngleich „Synodalität keinesfalls gleichbedeutend mit Demokratie ist“, siehe vertiefend hier) sind sicherlich ein „Markenzeichen“, mit dem Christen auch „in anderen Kirchen angesprochen werden, die darunter leiden, dass sie kaum Mitbestimmungsrechte haben, sondern wie Untertanen in einem Feudalsystem hinnehmen müssen, was ihnen ihre Kirchenleitung vorsetzt“. Damit richtet sich die Botschaft unserer Kirche „auch an Menschen, die die Entschlossenheit zu einem eigenständigen Glauben haben, die den Mut aufbringen, kirchliche Formen und Strukturen nicht als gottgegeben anzusehen, sondern diese immer wieder kritisch zu hinterfragen.“ So sind „synodale Strukturen einem monarchischen System, vor allem, wenn es auch noch mit einem Unfehlbarkeitsanspruch gekoppelt ist, überlegen.“
Wie sieht eine solche Synode aus, was läuft da wie ab, wie kann man sich das Prozedere und Ambiente dort vorstellen?
Die Synode findet in einem Tagungsraum eines
röm.-kath. Hotels in Mainz statt. Vorsitzend ist die Synodalvertretung mit dem Bischof, ihnen gegenüber sitzen die Abgeordneten, also
die Synodalen der Gemeinden und die Geistlichen, die von ihrem Rederecht Gebrauch machen und so zu teilweise lebhaften Diskussionen beitragen. Die
ca. 120 Stimmberechtigten beraten, ringen um die beste Lösung und entscheiden. Auf einer Empore sitzt ca. ein Dutzend Gäste (so wie auch ich), die der
Debatte - ohne eigenes Stimm- und Rederecht - interessiert zuhören.
Ein Beispiel zu solchen Fragen, die auf der Synode diskutiert werden: Grundsätzlich herrscht Einigkeit, dass die Finanzbuchhaltung (also die Aufgabe
des sog. Rechners der Gemeinde) nicht in der Hand der einer Gemeinde vorstehenden Geistlichkeit liegen soll (siehe § 54 (1) SGO). So sind ein
Vieraugenprinzip und eine gewisse Kontrolle gegeben. Nun wird aber auf der Synode ausführlich diskutiert, wie genau man diese Überlegung fasst und wie man dies am besten in eine - für die SGO
geeignete juristische - Sprache umsetzt. Konkret: Sollen nur Pfarrer oder auch Diakone oder alle Mitglieder der Geistlichkeit oder die Mitglieder der
ständigen Geistlichkeit oder solche mit Seelsorgefunktion oder leitende Geistliche etc. als Rechner ausgeschlossen werden? Sollen zudem nur deren
Ehepartner ebenfalls ausgeschlossen werden, oder muss diese Regelung angesichts gleichgeschlechtlicher Partnerschaften bei Pfarrern weiter gefasst werden? Hierzu gibt es dann auf der Synode,
teilweise spontan aus der Diskussion heraus formuliert, diverse Änderungsanträge.
Hinter einer solchen Diskussion und letztlichen
Entscheidung stecken teilweise sehr grundsätzliche Fragen. Einzelne Wortänderungen können inhaltlich und für einzelne Gemeinden große Auswirkungen haben. Somit ist
es gut, dass die Synode sich mit solchen Fragen ausführlich beschäftigt, mit Worten ringt, um zu einer Lösung zu gelangen, die der Aufgabe, den Gemeinden und ihren Menschen am
besten gerecht wird - auch wenn dies ein langer und teilweise zäher Prozess ist.
Mitten in der Debatte zu diesem Antrag (und ebenso zu anderen Anträgen) wird ein Antrag zur Geschäftsordnung auf Schluss der Debatte gestellt, dem mehrheitlich
stattgegeben wird. Somit ist plötzlich Schluss der Diskussion. Genug darüber geredet, keine weiteren Redebeiträge mehr, endlich abstimmen. Ein von allen
akzeptiertes, synodales Prozedere, das ich mir auch für unsere Gemeinde erhoffe, wenn die synodale Mehrheit einer Gemeindeversammlung oder des Kirchenvorstands eine Entscheidung getroffen
hat. Niemand scheint sich "abgewürgt" oder "gemobbt" zu fühlen, niemand beschwert sich, dass er nun zu diesem Punkt nicht mehr zu Wort kommt, sondern die Synode akzeptiert das Votum auf Schluss der
Debatte und die anschließende Entscheidung zum Antrag. Das finde ich sehr gut so - nur so kann man konstruktiv arbeiten, auch auf der Ebene der Gemeinden.
Entschieden wurde in diesem Fall des § 54 übrigens u.a. die Formulierung, dass Mitglieder der ständigen Geistlichkeit und mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt lebende
Personen nicht Rechner sein können. Geistliche im Auftrag könn(t)en, so eine Interpretation, somit Rechner sein - selbst dann, wenn diese auf Wunsch von Synodalvertretung
und Pfarrverweser "inoffiziell" von Gemeinde und KV so akzeptiert werden sollen wie ein Gemeindepfarrer. Ob das dann im Sinne des Synodenbeschlusses wäre ...?
Diese Beispiele zeigen: Auch bei uns Alt-Katholiken ist nicht alles Gold, was glänzt. So können selbst kirchliche „Konzilien Fehlentscheidungen treffen, und unsere Synoden tun es auch.“ „Auf der unteren synodalen Ebene, bei den Gemeindeversammlungen, gilt das natürlich ebenso“. Und auch bei uns werden von Vertretern der Bistumsleitung schon mal für meine Ohren befremdliche Aussagen getätigt, z.B. dass die Gestaltung der Gottesdienste alleine dem Pfarrer obliegt (was § 53 (2) 3. unserer SGO widerspricht, wonach der Kirchenvorstand mitverantwortlich für eine lebendige Gottesdienstfeier ist) oder dass ein umfangreiches Engagement von Laien in der Gemeinde dieselbe wohl zu deren persönlichem Spielplatz macht. Folgt man aber den von uns selbst gesetzten Regelungen insbesondere der SGO, so verkörpert unsere Kirche nicht nur in der Lehre, sondern gerade auch in ihrer Struktur genau das, was ich mir von Kirche immer schon erhofft habe, selbst wenn auch bei uns nobody perfect ist.
Aber „Kirchenverfassungen sind menschengemacht und deshalb veränderbar“, und dieser Prozess wird bei uns Alt-Katholiken zumindest alle zwei Jahre auf der Synode angestoßen. Dies durfte ich nun selbst als Gast miterleben.
Viele weitere Fragen und Anträge wurden auf diese Weise diskutiert und einer Lösung zugeführt. Die diesjährigen Anträge zur Synode (es waren über 60 aus den unterschiedlichsten Gemeinden!) finden sich hier:
http://www.alt-katholisch.de/fileadmin/red_ak/Bistum/Synode_2014/Antraege_Synode.pdf
Gremien wurden durch Wahl mit Menschen besetzt. Gottesdienste und Ansprachen/Grußworte (u.a. von Karl Kardinal Lehmann, dem uns gastgebenden röm.-kath. Bischof von Mainz, den ich somit auch das erste Mal "live" erleben durfte) rundeten das interessante Synodenprogramm ab. Und natürlich ist das Gespräch zwischendrin, der Gedankenaustausch in den Pausen etc., ein wichtiges Element dieses Treffens. Schön ist es, so viele bekannte Gesichter unserer kleinen und übersichtlichen Kirche wieder zu treffen. Und es gibt - nicht zuletzt dank der guten Sitzungsleitung - auch viele amüsante Momente während der Synode - es wird oft herzlich gelacht.
Unsere Wilhelmshavener Gemeinde war durch zwei von unserer Gemeindeversammlung gewählte Synodale sowie durch Pfarrer Meik Barwisch und mich (als Kirchenvorstandsvorsitzenden) als Gast auf der diesjährigen Synode vertreten. Ich freue mich, das erste Mal „Synodenluft“ schnuppern gedurft zu haben und zumindest als lauschender Gast dabei gewesen zu sein.
Allen, die noch suchen und denen die christliche Lehre und die hier beispielhaft dargestellte Form von Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, von Kirchenstruktur, zusagen, kann ich aus der eigenen Freude und Überzeugung heraus zurufen: Komm und sieh - die alt-katholische Kirche könnte auch Deine sein!
Prof. Dr. Torsten Kirstges